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23.06.2010

„Eine transparente und reflektierte Haltung ist unabdingbar“

Dadurch, dass die Professionellen in der Kinder- und Jugendhilfe über ihre Antriebe und Handlungsweisen miteinander im Gespräch bleiben und sich gegenseitig Rechenschaft ablegen, lassen sich Menschenrechtsverletzungen vermeiden. Die Bedingungen dafür sicherzustellen ist heute eine der wichtigsten Aufgaben sozialer Organisationen.

Ein Interview mit Marianne Bartzok, Geschäftsführerin der DASI Berlin gGmbH


Markus M. Jung | Das Thema „Werte und Haltung in der Kinder- und Jugendhilfe“ sind in den öffentlichen Diskussionen um die Heimerziehung in West- und Ostdeutschland sowie um die Skandale von Gewalt und sexuellem Missbrauch in Schulen von trauriger Aktualität. Was können wir aus diesen Ereignissen lernen?

Marianne Bartzok | Zunächst einmal müssen wir uns bewußt machen, dass wir Verantwortung tragen für die Menschen, die zu uns kommen, die wir begleiten und betreuen. Damit ist nicht die Verantwortung gemeint, die jeder Mensch für sich selbst hat. Die Verantwortung, die wir als Unternehmen tragen und die jeder Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin gegenüber unseren Klienten trägt, ist eine institutionelle Verantwortung. D.h. wir sind es, die eine Struktur schaffen und bereitstellen müssen, die es erlaubt, das höchste Gut in unserem Gemeinwesen, die Menschenwürde, zu erhalten und zu fördern.

Markus M. Jung | Mit dem Übergang der DASI Berlin in eine gemeinnützige GmbH im Jahre 2005 haben Sie einen Organisationsentwicklungsprozess angestoßen, der nun im sechsten Jahr ist. Was hat Sie dazu bewogen?

Marianne Bartzok | Nachdem die ökonomischen Schwierigkeiten der Anfangszeit weitgehend überwunden waren, konnten wir uns den Themen zuwenden, die das Unternehmen nachhaltig stärken sollten, um uns am Berliner Markt neu zu platzieren und zu profilieren. Da unsere Produkte Dienstleistungen am Menschen sind, ist klar, dass wir unsere MitarbeiterInnen so begleiten und in ihrer Entwicklung so unterstützen müssen, dass sie den wachsenden Herausforderungen in der Arbeit mit den KlientInnen gewachsen sind. Daher zielt unser Organisationsentwicklungsprozess darauf ab, die MitarbeiterInnen in ihrer Fachkompetenz zu stärken. Dazu arbeiten wir in Arbeitsgruppen themenbezogen. Diese Themen stehen für das Jahr jeweils unter einem speziellen Motto. Neben der Themenentwicklung, die das Ergebnis einer eingehenden Analysetätigkeit ist,  müssen allerdings auch entsprechende zielführende Strukturen auf Seiten des Unternehmens bereitgestellt werden.

Markus M. Jung | Während Sie in 2007 und 2008 das Thema „Wie entsteht Wissen in Organisationen“ im Zusammenhang mit dem Träger bearbeitet haben, griffen Sie für den Herbst 2009 das Thema „Werte und Haltung in der Kinder- und Jugendhilfe“ auf. Wie kam es dazu?

Marianne Bartzok | Wissen stellt sozusagen den Kern jeder verantwortungsvollen professionellen Tätigkeit dar. Das gilt unbedingt auch für die Soziale Arbeit. Als wir mit diesem Thema anfingen, wollten wir zunächst Klarheit darüber gewinnen, welches Wissen überhaupt im Unternehmen steckt und an welchen Stellen wir dieses weiterentwickeln und ergänzen wollen bzw. müssen. Beispielsweise entschieden wir uns für die verbindliche Verwendung der Sozialpädagogischen Diagnosen in unserem Aufnahmeverfahren. Dieses Methodenwissen mussten wir uns aneignen und einüben, um es schließlich professionell – und damit mit Gewinn für unsere Arbeit und unsere Klienten – anwenden zu können. Das hat seine Zeit ge-braucht. Heute sind wir allerdings so weit, dass wir unseren Organisationsentwicklungstag (OE-Tag) 2010 zum Thema „Sozial-pädagogische Diagnosen und Familiendiagnosen“ abhalten konnten. Ein schöner Erfolg.

Markus M. Jung | Was machte „Werte und Haltung“ zu einem relevanten Thema Ihrer Organisationsentwicklung? Ist es auch ein Wissensthema?

Marianne Bartzok | Kurz gesagt ist Wissen die Umwandlung von Information in Handlung und somit trifft dies in gewisser Weise zu. Wir alle bei der DASI Berlin stehen – ob wir wollen oder nicht – in der Öffentlichkeit für diesen Träger. Das von unseren Klienten oder Partnern erlebte Auftreten und Können der MitarbeiterInnen wird mit dem Träger in Verbindung gebracht und mit seinem Image immer wieder abgeglichen. Die Veränderung und Entwicklung des Trägers zeigt sich in der Öffentlichkeit in seiner Struktur, seinen Leitbildern, seinen Zielen und – seinen Botschaftern, den Mitarbeitern. Einen Imagewandel zu erreichen bedarf daher einer guten Analyse, tragfähiger Leitbilder, einer ziel-führenden Strategie, den richtigen und auf Nachhaltigkeit ausgerichteten Maßnahmen sowie einer wirkungsvollen Umsetzung. Der Kern von allem, oder auch das größte Risiko im Unternehmen sind die Möglichkeiten und Fähigkeiten der MitarbeiterInnen. Ziel einer lernenden Organisation ist es daher, die Fähigkeit der Organisation so zu verbessern, dass sie sich an verändernde Umwelt-bedingungen möglichst optimal anpassen kann. 

Markus M. Jung | Was hat Ihre Analyse ergeben?

Marianne Bartzok | Die Umgebungs- und Unternehmensanalyse zeigte in den vergangenen Jahren sehr deutlich, dass Werte und Haltungen im vereinten Deutschland nach 20 Jahren Bundesrepublik noch immer von immenser Wichtigkeit waren und sind. So arbeiten wir in einem Spannungsfeld ge-sellschaftlicher Entwicklung bzw. Wandels: es zeigen sich demokratiefeindliche Tendenzen in Ost- und Westdeutschland; die Gruppe von Jugendlichen ohne Zukunftschancen wächst von Jahr zu Jahr genauso wie deren Bereitschaft zu immer brutaleren Taten; gleichzeitig zeigt sich der Staat unter massivem finanziellen Druck zu rigiden Sparmaßnahmen bereit und ist dabei, sich zugunsten einer – noch – undeutlich geformten Zivilgesellschaft zurückzuziehen; Eigenverantwortlichkeit heißt das neue Paradigma usw. Bei der DASI Berlin finden wir einen erheblichen Anteil von MitarbeiterInnen, die noch in der ehemaligen DDR, im ehemaligen West-Berlin oder in der alten Bundesrepublik sozialisiert wurden. Hinzu kommen zunehmend auch MitarbeiterInnen mit einem nicht-deutschen Sprachhintergrund bzw. mit Migrationserfahrung. Weder auf der gesellschaftlichen und schon gar nicht auf der unternehmerischen Ebene ist ein Dialog über Werte und Haltung verzichtbar. Im Gegenteil. Er war selten wichtiger als heute. Dabei spielt gerade der historische Blick eine ganz besondere Rolle.

Markus M. Jung | Zur Einstimmung beim letztjährigen OE-Tag der DASI und sozusagen zur Eröffnung der Gespräche zum Thema haben Sie ein sehr umfassendes Referat vorbereitet. Worüber haben Sie gesprochen und wie kam das bei den MitarbeiterInnen an?


Marianne Bartzok | In Anbetracht der historischen Verortung verschiedener Ereignisse, die aktuell von Interesse sind zeigt sich, dass sich gesellschaftlicher Wandel auch an Personen fest machen läßt bzw. in Form von Erfahrungen unlösbar mit dem persönlichen Schicksal von Menschen und Gruppen verbunden sein kann. Die Themen, die ich bearbeiten wollte, haben mich in meine eigne Kindheit und Jugend und in meine Zeit als junge Erwachsene zurückgeführt, d.h. in die fünfziger, sechziger und siebziger Jahre. Fest steht, dass sich Werte und Haltungen seit 1945 sehr gewandelt haben.

Markus M. Jung | Was würden Sie im Zusammenhang der historischen Verortung als die für Sie bedeutsamsten Ereignisse benennen?

Marianne Bartzok | Gehe ich chronologisch in der Zeit zurück, so ist neben dem Züchtigungsverbot von Kindern vom Jahre 2000 die bundesweite Einführung des SGB VIII nach dem Mauerfall sicher ein solches bedeutsames Ereignis. Aber auch der Mauerfall selbst und das Ende der DDR-Heimerziehung wäre ein solches Ereignis. Das gilt ganz ähnlich für die Einführung des Kinder- und Jugendhilfegesetzes in der alten Bundesrepublik, das das Reichsjugendfürsorgegesetz ablöste. Auch die „Heimrevolte“ in Westdeutschland war ein solches Datum, das sehr bemerkenswert ist. Ganz sicher ist es aber die Staatsgründung der Bundesrepublik im Jahre 1949 selbst, die letztlich all die Verbesserungen der Situation der Kinder und Jugendlichen ermöglichte und nach dem „Zivilisationsbruch“ die Menschenwürde wieder als höchstes Gut festschrieb.


Markus M. Jung | Wie hat sich dieses Wissen um die Ereignisse das bei der DASI niedergeschlagen?

Marianne Bartzok | Schon bei der Entwicklung unseres ersten Leitbildes haben wir uns bei der DASI darauf verständigt, eine Verpflichtung eingehen zu wollen, an der wir gemessen werden sollen und für die wir verantwortlich sind. Diese Verpflichtung erwächst eben dem Art. 1 GG: „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Daneben fühlen wir uns der Kinderrechtskonvention der Vereinten Nationen verpflichtet und natürlich stehen wir mit unserer Arbeit gesetzlich auf der Grundlage des SGB VIII. Unsere professionelle Rolle verpflichtet uns nun, die sozusagen durch Gesetz und Konventionen gegebenen Werte und Haltung mit unserer je eigenen Persönlichkeit in Einklang zu bringen. Dass dem so ist, sollte jedem Profi in der Sozialen Arbeit klar sein. Werte und Haltung sind somit zwar etwas Persönliches. Im professionellen Kontext werden sie aber notwendig öffentlich und damit Gegenstand gemeinschaftlicher Reflexion.

Markus M. Jung | Wie sah nun der Wandel aus?

Marianne Bartzok | Dass z.B. die Gewaltfreiheit in der Erziehung eine ganz aktuelle Er-rungenschaft ist, kann man aus heutiger Sicht kaum glauben. Aber bis ins Jahr 1999 war eine körperliche Züchtigung, wenn sie in einem gewissen Rahmen blieb und bewusst, d.h. als Erziehungsmaßnahme eingesetzt wurde, keine erheblichen Sanktionen, wie zum Beispiel den Sorgerechtsentzug, nach sich zog. Gewalt in der Erziehung war somit rund 50 Jahre lang ein legitimer Teil unserer Erziehungskultur. Hier mußten, bevor die Gesetze entsprechend geändert werden konnten, neue gesellschaftliche Kräfte aktiv werden. Das gilt in gewisser Weise auch für die Wahrnehmung der Geschichte der Heimerziehung in Westdeutschland. Obwohl die Grundgesetzartikel 1-5 hier seit 1949 ihre Gültigkeit hatten, wurden diese Grundrechte von vielen Heimleitungen und in der Heimerziehung Tätigen systematisch gebrochen. Mit dem Buch von Peter Wensierski wurde ein erstes Ausmaß dieser Menschenrechtsverletzungen öffentlich, wenn auch noch heute, kaum begreiflich. Kinder und Jugendliche wurden trotz aller offizieller Verbote verprügelt, verspottet, gedemütigt und als Arbeitskräfte ausgebeutet. Manche der Strafen von damals würde man heute nur in Guantanamo vermuten. Und doch wurden sie vollzogen. Auch, und das schmerzt besonders, im Namen der Kirche. Aus heutiger Sicht muss man sich klar werden darüber, dass viele Bedingungen, unter denen in der Vergangenheit in der alten Bundesrepublik Heimerziehung stattfand zwar skandalös erscheinen, sie basierten aber auf Erziehungsvorstellungen, die damals gesellschaftlicher Konsens waren wie körperliche Züchtigung oder Kinderarbeit. Auch wurden psychische Probleme von Kindern und Jugendlichen weniger empathisch-psychlogisch denn motivational gedeutet. Um-gebungseinflüsse wurden kaum als Ursache identifiziert. Auch wurden nicht Krankheit, sondern individuelles Fehlverhalten und Unwillen als das eigentliche Problem gedeutet. Und einen vermeintlich bösen Willen konnte man durch autoritäre und körperliche Maßnahmen schon in die richtige Richtung lenken. Heime waren häufig keine Räume des Schutzes, sondern oft genug geschlossene Systeme, in denen Willkür und Rigidität herrschte, alle Formen von Gewalt vorkamen und weder unabhängige Aufsichts- noch Kontrollinstanzen dem einen Riegel vorschoben oder vorschieben wollten. Hier gilt es weiter Aufklärungsarbeit zu leisten. Erst mit der sogenannten Heimrevolte 1969 wurden die Zustände in den Heimen aufgedeckt und ein Wandel möglich. Heute arbeitet der „Runde Tisch Heimerziehung“ diese Geschichte der Sozialen Arbeit in der alten Bundesrepublik auf.

Markus M. Jung | Gab es ähnliche Phänomene auch in der ehemaligen DDR?

Marianne Bartzok | Ähnlich wie in der frühen Bundesrepublik kam es auch in der DDR, z.B. aufgrund des Fehlens von geeignetem Personal, zu Kontinuitäten aus der vorangegangenen Nazizeit. Das bezog sich auf MitarbeiterInnen genauso wie auf Werte und Haltung. Die Jugendhilfe sollte vereinheitlicht und zentralisiert werden. Dabei wurde Erziehung politisch verstanden. In der DDR existierte ein System von Kinderheimen vom „Normalkinderheim“ bis zum geschlossenen „Spezialkinderheim“, wie dem geschlossenen Jugendwerkhof Torgau. Je nachdem, welche Intervention von den staatlichen Stellen für notwendig erachtet wurde, wurde das Heim ausgewählt. In der Regel kam es zu Beziehungsabbrüchen, was die Prognose der betroffenen Kinder und Jugendliche eher verschlechterte. Heimerziehung war – v.a. in Spezialheimen – die letzte Interventionsform der Jugendhilfe. In den Jugendwerkhöfen - und vor allem im berüchtigten geschlossenen Jugendwerkhof Torgau, - herrschten Er-ziehung, Zucht und Ordnung – ganz ähnlich wie im Westen. Die Gruppe wurde zur Bespitzelung der Insassen mißbraucht. Die Strafen waren meist diskriminierend, oft entwürdigend und nicht selten Folter.

Markus M. Jung | Was folgern Sie aus alledem?

Marianne Bartzok | Ich halte es in Anbetracht der historischen Ereignisse, die, wenn man es genau betrachtet, noch nicht lange zurück liegen, für zwingend notwendig, immer wieder über die historischen und politischen Grundlagen unserer Arbeit ins Gespräch zu kommen. Die Auseinandersetzung mit solchen hermetisch geschlossenen Erziehungssystemen unterstützt uns im Sinne eines Nachdenkens über so etwas wie Zukunftsbewältigung. Es sollte uns dann nicht mehr überraschen, dass traumatisierte Menschen mit Gewalt ihren Traumata zu entfliehen versuchen. Die Fürsorgeerziehung der alten Bundesrepublik und die Heimerziehung der DDR mahnen uns, Behutsamkeit zu zeigen, wenn es darum geht, Methoden der pädagogischen und auch strafrechtlichen Eindämmung jugendlicher Gewaltbereitschaft zu entwickeln. In Anbetracht der vergangenen an Kindern und Jugendlichen in Institutionen ver-übten Gewaltakten wie körperlicher, psychischer und sexueller Mißbrauch, darf es gar keinen Zweifel daran geben, dass wir alles daran setzen, dass solche Taten, die durch Individuen begangen wurden, die entweder keine eigne Moral und Verantwortung hatten und bevorzugt im Namen einer fehlgeleiteten Politik und Gesinnung handelten oder durch eigene Willkür und Selbstherrlichkeit getrieben und nicht beaufsichtigt oder kontrolliert wurden, unbedingt und unter allen Umständen für immer ausgeschlossen werden müssen.

Markus M. Jung | Wie wollen Sie diese Ziel erreichen?

Marianne Bartzok | Damit wir dieses Ziel erreichen können, verständigen wir uns auf ein Leitbild und vereinbaren dessen Einhaltung. Dabei ist es heute selbstverständlich, dass Leitbildentwicklung ein fortdauernder Prozess ist, der Vision und Leitbild immer wieder aufs Neue vor dem Hintergrund einer sich verändernden Gesellschaft und Unternehmenssituation hinterfragt und fortschreibt. In einem transparenten Arbeitsprozess stellen wir uns einem ebenfalls fortlaufenden Diskurs über Werte und Haltung. Zum Beispiel auf unserem OE-Tag. Das sehen wir als ein moralisches Gebot an und betrachten es zudem als christ-liche Grundlage unserer Arbeit. Auf unserem OE-Tag im letzten Jahr beschäftigten wir uns unter der Klammer von „Werten und Haltung“ dann mit ganz konkreten Themen wie „Toleranz – Wo fängt sie an; wo hört sie auf?“ oder „(Rechts)Extremismus – eine ethische Herausforderung für unsere Arbeit? Brauchen wir dafür Regeln in unserer Organisation?“ oder „Kinder und Jugendliche in der Kinder- und Jugendhilfe – Erziehung – Coaching oder Begleitung?“.

Markus M. Jung | Werte und Haltung werden so ständig thematisiert und liefern auf diese Weise Orientierung sowohl für das Unternehmen als auch für die jeweilige MitarbeiterIn?

Marianne Bartzok | Werte sind gleichermaßen Maßstäbe für soziales Handeln und die Grund-lage für den Zusammenhalt und die Weiterentwicklung einer Gesellschaft. Es wird die grundlegende Frage nach den gemeinsam geteilten oder teilbaren Werten gestellt. Das gilt übrigens auch für ein Unternehmen. Hier drücken sich die unternehmerischen Werte z.B. über die Unternehmenskultur aus. Die Unternehmenskultur liefert Orientierungen im kommunikativen Austauschprozess von Unter-nehmen und MitarbeiterIn. Gemeinsam schauen wir im Prozess, ob wir einen Konsens finden können und gemeinsam unsere Wertorientierungen weiter entwickeln können. Dabei ist ein umsichtiger, reflektierter und ein von gegenseitiger Achtung getragener Umgang mit dem Wertethema unerlässlich.
Für die Haltung gilt, dass sie von Werten und der Moral bestimmt ist. Durch sie drückt sich auch unser Menschenbild aus, was wiederum entsteht aus unserem Glauben an die Richtigkeit bestimmter Wertvorstellungen oder Ideen. Dabei sind wir durch Sozialisation wie  kultureller Prägung beeinflusst. Menschenbild und Haltung beeinflussen so unsere zwischenmenschlichen Beziehungen  meist ohne, dass wir uns darüber immer bewußt wären. Im professionellen Zusammenhang geht es deshalb darum, sich dieser Prägungen in vollem Umfang bewußt zu sein bzw. zu werden. Gleiches gilt für die von uns übernommenen Rollen, d.h. um die Klärung der Fragen: Wofür bin ich zuständig? Wofür bin ich verantwortlich? Dies wäre die volle Begriffs-klärung von Kompetenz: Zuständigkeit und Verantwortung. In der Übernahme von Verantwortung für unser Tun drückt sich so unsere Haltung aus. Beides, Haltung und Handlungen müssen durch ein kritisches Bewusstsein begleitet und hinterfragt werden. Denn die Wahl unserer Erziehungsmethoden ist geprägt durch unsere Haltung. Und nur durch gemeinsame Reflexion können wir es somit schaffen, eine Annäherung an die Situationen, in denen sich Kinder und Jugendliche wirklich befinden zu schaffen, an deren Persönlichkeit, das Verstehen ihrer Hand-lungen oder ihres Verhaltens. Kurz: Eine Annäherung an ein Verstehen ihres Wesens. Wie jemand wirklich „ist“, werden wir niemals „wissen“. Für uns bedeutet das, dass wir Eigenbrötelei, Selbstüberschätzung oder nicht akzeptable moralische Positionen ablehnen. Wir wollen vielmehr im Prozess gemeinsam versuchen zu verstehen, um dann, auf transparente und abgestimmte und an Werten und Haltung orientierte professionelle Weise, Handlungsschritte zu entwickeln.

Markus M. Jung |  Was sind dabei ihre Orientierungspunkte?

Marianne Bartzok | Nun, wir richten uns in unserem Tun aus auf die Werte „Unantastbar-keit der Menschenwürde“, „Respekt“, „Wert-schätzung“, „Solidarität“, „Partizipation“ und „Integration“. Wir gehen bei der DASI Berlin davon aus, dass Kindererziehung in der Kinder- und Jugendhilfe nur durch Empathie und durch eine in sich gefestigte Persönlich-keit des professionell Tätigen erfolgreich sein kann. Um Willkür zu vermeiden, gehen wir Selbstverpflichtungen ein, die sich von unserem Leitbild ableiten. Daran lassen wir uns prüfen und messen und darauf richten wir uns aus im Hinblick auf unsere persönliche Entwicklung und Qualifizierung. Ob und welche Wertvorstellungen und Haltungen die von uns begleiteten Kinder und Jugendlichen schließlich entwickeln, lässt sich kaum voraussagen. Soziale Arbeit ist immer eine Arbeit ins Ungewisse. Sie erfordert aus diesem Grunde eine verantwortungsvolle, auf Sorgfalt und Verantwortung gerichtete Haltung, die systematisch reflektiert werden muss. Nicht zuletzt auch, um unsere Handlungsfähigkeit als Professionelle in Anbetracht der uns immer wieder zuwachsenden Frustrationen zu erhalten.

Markus M. Jung | Der OE-Tag dient also dazu, mit den MitarbeiterInnen im Gespräch bleiben und Impulse zu setzen. Welche Methoden setzen Sie neben Arbeitsgruppen und Impulsreferate sonst noch ein?

Marianne Bartzok | Das variiert von Thema zu Thema. Auf unserem diesjährigen OE-Tag dominierte wieder die Arbeitsgruppenarbeit in moderierten AGs. Zusätzlich gab es in diesem Jahr ein Fachreferat von Professor Uwe Uhlendorff zum Thema Sozialpädagogische Diagnosen, was die Arbeitstagung abrundete. Generell machen wir an jedem OE-Tag eine kleine MitarbeiterInnenbefragung zum OE-Tag. Es ist einfach wichtig zu erfahren, ob sich alle wohl gefühlt haben und mit der Ver-anstaltung zufrieden waren. Bei den Befragungen haben wir in der Vergangenheit immer hohe Zufriedenheitswerte von weit über 80 Prozent erreicht. Das freut uns sehr. Anlässlich unseres OE-Tages zum Werte-thema in 2009 haben wir allerdings neben dem Fragebogen auch die Gestaltung einer „Papierskulptur“ angeregt.   

Markus M. Jung | Wie muß man sich das vorstellen?

Marianne Bartzok | Die Mitarbeiter haben nach der Arbeitsgruppenarbeit drei verschieden farbige Blätter erhalten. Auf den Blättern standen jeweils angefangene Sätze, die vollendet werden sollten. Nachdem die Blätter beschrieben waren, wurden diese zu einer Netzskulptur zusammengesetzt. Als große Themen kristallisierten sich heraus der „Wunsch nach Anerkennung“, „die Sicherstellung der professionellen Handlungsfähigkeit“ und die „Sehnsucht nach Entwicklung“. Wie ich finde zeigt sich hier deutlich, dass Soziale Arbeit von Sozialpädagogen und Sozialarbeitern, d.h. von Menschen gemacht wird. Sie sind die Profis, auf deren Wohlbefinden, Kompetenzen und Gesundheit es ankommt. Im Hinblick auf die Adressaten unserer Arbeit sind die Mitarbeiter als Kompetenzträger daher durchaus mit Risiko behaftet – wie wir z.B. in der Heimerziehung der Vergangenheit sehr gut sehen konnten. Gleichwohl stecken in den MitarbeiterInnen aber gerade deshalb auch Chancen: sowohl für die Adressaten als auch für das Unter-nehmen – und letztlich für die Gesellschaft selbst. Diese Potenziale mit zu entwickeln und dabei mit zu gestalten ist unser Auftrag und unsere Verpflichtung.  

Markus M. Jung | Vielen Dank für dieses Gespräch.

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Frau Bartzok, die Geschäftsführerin der DASI Berlin gGmbH, im Interview
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