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25.03.2009

Familienrat: Kooperationsprojekt in Treptow-Köpenick nimmt seine Arbeit auf

Das aus Neuseeland stammende Instrument im Hilfeplanverfahren der Jugendhilfe wird in der Region 4/5 im Rahmen eines Pilotprojektes erprobt – Workshop zur Einführung

In Neuseeland ist die Verwendung des Instruments „Familienrat“ für alle Jugendgerichtshilfefälle und Erziehungshilfefälle seit 1989 verpflichtend. Familienräte oder auch Verwandtschaftsräte bzw. Familiengruppenkonferenzen (familiy group conference, fgc) respektieren die Kompetenzen und das Wissen von Familien und nutzen diese bei Problemen als Ressource zu einer angeleiteten, aber selbstständigen Lösungsfindung. Durch das empowernde Verfahren des Familienrates wird die Position des Empfängers von Jugendhilfeleistungen gestärkt. Nicht der Klient, sondern der Bürger - und dessen Lebenswelt - steht im Zentrum dieses Verfahrens. Mit Unterstützung, aber eigenverantwortlich und aus eigener Kraft geht es darum, einen eigenen Lösungsweg zu finden und zu gehen.

Kooperation zur Stärkung von Familien
In einem Kooperationsprojekt erproben das Jugendamt Treptow-Köpenick in der Region 4/5 und die DASI Berlin mit der Unterstützung durch die Fachhochschule Potsdam (FHP) dieses Instrument auf dessen Anwendbarkeit und Wirksamkeit im Bezirk. „Die Stärkung der Fähigkeiten der Familien eigene Lösungen zu suchen und zu finden, ist uns in unserer Arbeit schon immer wichtig gewesen“, sagt Matthias Kitzing, Leiter für den Bereich  Ambulante Hilfen bei der DASI Berlin.
Im Rahmen des Projektes wird die DASI Berlin gemeinsam mit Studierenden der FHP Familienräte organisieren und durchführen. Die Arbeit wird von einer Evaluationsgruppe der Fachhochschule begleitet. Für das laufende Jahr sind insgesamt 10 Familienräte geplant.

Fachhochschule ein wichtiger Partner
Professor Frank Früchtel von der Fachhochschule Potsdam hat das Instrument von Neuseeland nach Deutschland gebracht. Zum Start des Pilotprojektes informierte Professor Früchtel im Rahmen eines Workshops, an dem am vergangenen Montag rund 30 Profis aus dem Regionalen Sozialpädagogischen Dienstes (RSD) des Jugendamts teilnahmen, über die Geschichte des Instruments und dessen Anwendung. Außerdem wurde das Projektteam der DASI Berlin den RSD-MitarbeiterInnen vorgestellt.
Im Projektverlauf wird Professor Früchtel die teilnehmenden Studierenden für ihre Aufgaben im Familienrat anleitend begleiten. Die DASI Berlin setzt zur Vorbereitung und Durchführung der geplanten Familienräte sowie zur Begleitung der Studierenden eine erfahrene Mitarbeiterin aus dem Bereich der Ambulanten Hilfen ein. Projektbegleitend wird diese ferner an der FHP im Rahmen des Zertifikatskurs „KoordinatorIn im Familienrat“ zur Koordinatorin ausgebildet.

Familienrat wirkt
Die Ergebnisse der Evaluation der Niederländischen Familienrat-Form „Eigen Kracht“ (niederl.: „eigene Kraft“) belegen seit Jahren ein hohes Wirksamkeitspotential des Verfahrens: Unter den 753 durchgeführten Familienräten war keiner dabei, bei dem der Plan der Familie schlechter gewesen wäre als der Lösungsplan der Profis. In rund zwei Dritteln der Räte jedoch war er besser (67%). In Berlin Mitte wird bereits seit mehreren Jahren mit der Methode gearbeitet. Im Jahre 2008 wurden dort 40 Familienräte durchgeführt. Ein Familienrat umfaßt ca. 30 Stunden Koordinationszeit. Der konkrtete "Rat" dauert durchschnittlich 2-3 Stunden, kann aber auch mehrere Tage umfassen.

Familienrat = Haltung, Vorbereitung und Umsetzung
Ein unabhängiger Koordinator organisiert gemeinsam oder in enger Absprache mit der Familie ein Treffen all der Personen eines Familiensystems, die einen Teil zur Problemlösung beitragen könnten. Dabei kann auch der Koordinator Teilnehmer vorschlagen. Die Familien wählen aber letztlich die Teilnehmer des Familienrates selber aus. Beim Familienrat wird ein Lösungsweg erarbeitet der nach Prüfung durch einen Sozialarbeiter der verbindlichen Problemlösung dient. Nach einem festgelegten Zeitraum wird die Einhaltung der Lösungsvereinbarung überprüft.

Der Kontakt der Familien zu den Koordinatoren wird über den Regionalen Sozialen Dienst (RSD) des Jugendamtes angebahnt. Die Mitarbeiter des RSD schlagen den Familien diese Methode vor. Die Familien können aber auch für sich dieses Verfahren als Lösungsweg gegenüber dem RSD vorschlagen. Ob es dann zur Kontaktaufnahme kommt, wird in einem Gespräch von Familie und RSD geklärt.

Wird ein Koordinator beauftragt, so teilt dieser der Familie die Sorge des Jugendamts zur Situation in der Familie mit. Zunächst wird die Familie über ihre Rechte und mögliche Ausgänge der Fallbearbeitung aufgeklärt und in die Verfahrensweise und Prinzipien eingeführt. Nach der Festlegung der Fragestellung des Familienrats wird das Netzwerk mit den infrage kommenden Personen aktiviert. Der Koordinator und die Familie organisieren Zeit und Ort des Treffen und legen einen Ablauf fest, der am besten zur jeweiligen Familie passt und den größtmöglichen Erfolg verspricht.

Am vereinbarten Familienratstermin führt der Koordinator in den Ablauf ein und gibt die Verfahrensregeln bekannt. In der Eröffnungsphase wird großen Wert auf eine „positive Erwartungshaltung“ gelegt. Und die soll für alle spürbar sein: Familien können Lösungen für ihre Probleme finden. Im nächsten Schritt formulieren die Profis ihre Sorge(n) bezüglich der Familie aus ihrer Sicht. Nach der Formulierung des Beratungsziels und Informationen, z.B. zu Hilfsangeboten in Region und Nachbarschaft der Familie, geht es los. Die Türen schließen sich und die Familie berät unter sich Mittel und Wege der Problemlösung. Dieser Lösungsplan wird schriftlich festgehalten. Gehen die Türen wieder auf, wird eben dieser von der Familie erarbeitete Plan den Profis vorgestellt und geprüft, ob der Plan die Sorge entkräften kann. Der RSD-Mitarbeiter entscheidet, ob der Plan tragfähig ist oder ob nachgebessert werden muss. Schließlich wird die Vereinbarung schriftlich festgehalten. Auch werden Vereinbarungen zur Evaluation und einem Folgetreffen festgelegt.

Erfolge stärken
Die Methode des Familienrates stärkt die Familien und unterstreicht deren Rolle als Experten in eigener Sache. Die niederländischen Erfahrungen zeigen, dass man mit einer hohen Wirksamkeit des erarbeiteten Plans rechnen kann, wenn es zum Familienrat kommt. Und es zeigt sich überall: Das Instrument gibt den Familien das Gefühl zurück, gemeinsam eine eigene Lösung finden zu können.

Mit dem Pilotprojekt zeigen die Projektbeteiligten Innovationskraft und Mut, neue Wege zur Stärkung der Familien zu gehen.

Text: Markus M. Jung

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Projektpartner in der Region 4/5 (v.l.n.r.): Herr Matthias Kitzing (DASI Berlin), Frau Gerlinde Brycki (BA Treptow-Köpenick, Regionalleiterin Region 4/5), Prof. Dr. Frank Früchtel (Fachhochschule Potsdam)
Projektpartner in der Region 4/5 (v.l.n.r.): Herr Matthias Kitzing (DASI Berlin), Frau Gerlinde Brycki (BA Treptow-Köpenick, Regionalleiterin Region 4/5), Prof. Dr. Frank Früchtel (Fachhochschule Potsdam)

Logos der Projektpartner
Logos der Projektpartner

Flyer zum Projekt: delib.FAMILIENRAT
Flyer zum Projekt: delib.FAMILIENRAT

Workshop
Workshop "Familienrat" im Freizeitclub Ortolfstraße 184